„Klar kann man es schaffen, obwohl man unterschiedlich ist…“

von | 3. April 2020 | Glückliche Beziehung

Am 03.12. 2019 war ich von Studierenden der University of Applied Sciences Europe in Hamburg Altona zu einer Talkshow zum Thema Liebe eingeladen. Die Fragen stellte Viviana Leta.
Das vollständige Interview hier noch einmal in Schriftform:

Viviana Leta: Kürzlich hatten wir ein älteres Ehepaar, das gerade eiserne Hochzeit feierte, bei uns im Studio zu Gast. Die beiden berichteten, dass sie das Prinzip, niemals abends im Groll auf den anderen zu Bett zu gehen, ihre gesamte Beziehung über eingehalten haben. Was halten Sie von diesem Prinzip?

Tobias Böker: Das ist natürlich ein geniales Prinzip, das die Beziehung stärkt. Guter Schlaf kann ein schöner Nebeneffekt sein. Die Realität in vielen Beziehungen sieht leider anders aus. Wenn es also nicht gelingt, abends im Frieden ins Bett zu gehen, ist es wichtig, wenigstens am nächsten Morgen einen Schritt auf den anderen zuzugehen und zu signalisieren, dass alles wieder in Ordnung ist. Dazu reicht ein kleines, liebevolles Signal oder ein versöhnliches Wort. Fatal ist es, am nächsten Morgen einfach so zu tun, als wäre nichts geschehen. Das schafft Unsicherheit beim Partner und belastet Beziehungen auf Dauer.

Viviana Leta: Welchen Rat geben Sie unserer „Generation beziehungsunfähig“, damit Beziehungen länger halten?

Tobias Böker: Immer wieder erneuern statt trennen. Wenn eine Beziehung über eine Lebensspanne halten soll – und das ist immer noch der Wunsch der Mehrheit – wird ein Paar immer wieder gezwungen, sich zu erneuern. Da kann man mit mindestens 2-3 kritischen Situationen wie Geburt des ersten Kindes, schwerer Krankheit oder schlimmstenfalls sogar Tod eines Kindes, einer Fremdverliebtheit oder einer aufgeflogenen Affäre, Verlust des Arbeitsplatzes etc. rechnen. Viele Paare scheitern an einer solchen Situation und trennen sich. Wenn aber von vornherein klar ist, dass diese Situationen kommen werden und die meisten Paare daran scheitern, sollte von vornherein auch klar sein, dass man sich in den kritischen Situationen, die eh auftauchen, Hilfe holt. Es geht momentan bei Beziehungsratgebern so ein kurzer Dialog viral, in dem ein altes Paar, dass 60 Jahre verheiratet ist, gefragt wird, wie es das geschafft hätte. Die Antwort lautet dann „wir kommen aus einer Zeit, in der man kaputte Dinge repariert hat“. Das trifft es für meinen Anspruch nicht ganz, weil etwas Repariertem in meinem Verständnis ein Makel anhaften bleibt. Beziehungen sind nach überstandenen Krisen – wenn sie bewusst gemeistert werden – nicht nur häufig ganz andere, sondern auch einfach besser.

Viviana Leta: Was kann man gegen Eifersucht tun?

Tobias Böker: Eifersucht tritt immer in Zusammenhang mit dem Verlust von Sicherheit auf. Es resultiert daraus eine Angst aber auch Wut, die Betroffene zwischen Flucht- und Angriffsreaktionen gefangen hält. Dass die Sicherheit dann verloren geht, wenn sich ein geliebter Mensch jemand anderem zuwendet, sei es real oder in Fantasien, hat die Ursache entweder in früheren Erfahrungen oder durch traumatisch empfundene Erlebnisse in der Beziehung selbst, z.B. einer aufgeflogenen Affäre. Eifersüchtige selbst nehmen im Moment des Gefühls zumeist nicht die Eifersucht selbst, sondern das Verhalten des Partners als Ursache für die negative Gefühlslage wahr. Auch, was sich hinter der Eifersucht verbirgt z.B. Verlassenheitsängste, Angst vor Wertverlust, Liebesentzug oder Zurückweisung, ist den Betroffenen nicht klar. Einen Durchbruch kann man dann erzielen, wenn der oder die Eifersüchtige im Moment des schlimmsten Gefühles sich dem Gefühl selbst und nicht dem Partner in Wut zuwendet. Das geht aber kaum ohne Hilfe. Ich persönlich kennen niemanden, der über eine rationale Entscheidung seine Eifersucht überwinden konnte.

Viviana Leta: Auf Ihrer Homepage ist zu lesen „wir persönlich sind ausgestiegen aus dem Kreislauf von Vorwürfen, Rechtfertigungen, Schuldgefühlen und Wut auf den anderen.“ Wie haben Sie das geschafft und wenden Sie die gleichen Methoden bei Ihren Klienten an?

Tobias Böker: Der Ausstieg bei meiner Frau und mir war tatsächlich ein langer Prozess. Wir haben über Jahre eine sehr schmerzhafte – heute würde man sagen „toxische“ – Beziehung geführt. Nachdem sich meine Frau von mir getrennt hatte, versuchten wir es auch mit einem Coaching, das total misslang. Also blieb mir nichts anderes übrig, als in meiner Verzweiflung – wir haben ja schließlich auch drei Kinder – auf meine Frau immer und immer wieder mit ziemlich furchtbarem Nachdruck einzureden. Nicht nur erfolglos, sondern auch sehr zerstörerisch. Ich habe dann gelesen und auch bald erkannt, dass ich zu 100% die Verantwortung für meine Situation übernehmen muss. Das habe ich getan. Nach einer kurzen Zeit ziemlich radikal und zunächst unter einem immensen Aufwand von Energie. Ich hatte keine „Methoden“. Die Methoden für meine Klienten habe ich entweder in meinen Ausbildungen gelernt oder aus meiner Erfahrung selbst entwickelt. Aber das Prinzip muss bleiben: Übernimm Verantwortung für dich, dann kannst du auch Verantwortung für deinen Partner und die Beziehung tragen.

Viviana Leta: Wie soll man sich verhalten, wenn man oft Meinungsverschiedenheiten hat, heißt das, dass man es direkt lassen soll oder kann man trotzdem zusammen gehören, auch wenn man unterschiedlich ist?

Tobias Böker: Also die Basics sollten schon geklärt sein. Z.B. ob man Kinder möchte oder nicht. Ich kenne Fälle, in denen die Beziehung auch trotz Unterschieden im Kinderwunsch gelingt, aber das würde ich nicht empfehlen. Das kann über eine sehr lange Zeit zur Belastung führen. Auch Dinge wie Wunsch nach der Wohnsituation oder Sexualität sollten weitgehend übereinstimmen. Aber sonst sind Meinungsverschiedenheiten überhaupt kein Grund, es direkt sein zu lassen. Wenn es regelmäßig eskaliert, holt man sich direkt zu Beginn der Beziehung Hilfe und schaut, ob man einen anderen Umgang mit den Emotionen, die in einem Streit auftauchen, finden kann. Hilfe von außen direkt zu Beginn einer Beziehung kann für die gesamte Beziehung sehr hilfreich sein, während destruktive Muster, die über Jahre verfestigt wurden, einiges an Investition benötigen. Unterschiedlich ist man sowieso und da gibt es keine feste Regel, ob die Unterschiede eine glückliche Beziehung verhindern. Studien geben da keinen einheitlichen Hinweis, ob große Gemeinsamkeiten notwendig sind. Also: Klar kann man es schaffen, obwohl man unterschiedlich ist!

Viviana Leta: Was kann man tun, wenn die Beziehung langweilig wird?

Tobias Böker: Zuerst einmal das Wichtigste, was man nicht tun sollte: Den Partner dafür verantwortlich machen. Der gelangweilte Partner sollte herausfinden, nach welcher Art von Abenteuer er sich denn sehnt. Die Sehnsucht nach Abenteuer und etwas Neuem tragen alle Menschen in sich. Wie das befriedigt werden kann, ist unterschiedlich: Ist es eine neue sexuelle Erfahrung, die gesucht wird, braucht es eine körperliche Grenzerfahrung, z.B. beim Extremsport oder reicht das kleine Erlebnis eines neuen Restaurants fernab von Abenden mit Netflix auf dem Sofa schon aus? Wenn man darüber Klarheit gefunden hat, kann man auf den Partner zugehen. Die Wahrscheinlichkeit, dass dann, wenn es als Bedürfnis geäußert wird, eine Lösung gefunden wird, ist viel höher als bei einem Vorwurf wie „mit dir ist es mir viel zu langweilig“! Der andere ist nicht verantwortlich dafür, dass man das Abenteuer erlebt, nach dem man sich sehnt!

Viviana Leta: Was war das schönste und was das schlimmste Gespräch?

Tobias Böker: Über die wirklich schlimmen Gespräche rede ich gar nicht so gern. Zu der Zeit, als meine Sitzungen noch im Rahmen meiner psychiatrischen Arbeit stattfanden, ging es zuweilen sehr bedrohlich zwischen den Menschen zu, das war schon übel. Schön wird es in meinen Sitzungen ganz oft. Immer dann, wenn ein Paar den nächsten Schritt macht oder gar einen Durchbruch erlebt, z.B. sich zum ersten mal seit langer Zeit wieder umarmt oder sich Emotionen zeigen, die Verbundenheit herstellen. Das eine schönste Gespräch gibt es nicht.

Viviana Leta: Wie laufen die Gespräche ab?

Tobias Böker: Zu Beginn gibt es erst einmal einen guten Kaffee für die, die wollen. Dann ist es wichtig, zunächst das Eis zu brechen, bevor ich den Paaren Fragen zu ihrer gemeinsamen Geschichte stelle. Zu Beginn der Therapie dürfen die Partner einen hohen Redeanteil haben, damit ich mir ein Bild von der Interaktion, den Bedürfnissen und Emotionen, die auftauchen, machen kann. Ich lenke dann nur ein, wenn sich anbahnt, dass das Paar zu heftig in eine Auseinandersetzung zu geraten droht. Gerade am Beginn hilft das sprichwörtliche „sich-von-der-Seele-reden“ schon, um sich entlastet zu fühlen. Im weiteren Verlauf finden dann – je nach Stärke und Art der Paarproblematik – Interventionen statt, von denen die Paare häufig gar nichts mitbekommen, weil sie unterschwellig durch meine Fragetechnik oder meine Rückmeldungen stattfinden. Wirksam sind sie trotzdem. Oder erst recht…

Viviana Leta: Was waren die überraschendsten Gründe, die Paare zur Therapie bewegt haben?

Tobias Böker: Da muss ich richtig überlegen. Überrascht mich da wirklich etwas? An Symptomen einer kriselnden Beziehung tritt alles mögliche auf. Sexuelle Probleme, Außenbeziehungen, eskalierende Streits bis hin zur körperlichen Gewalt. Teilweise scheinbar ausweglose Situationen. Letztlich geht es aber darum, dass Partner ihre positive Bindung zueinander verloren haben. Wirklich überraschen tut mich da nichts mehr.

Viviana Leta: Finden die Paare am Ende oft wieder zusammen und bleiben „in Liebe“ zusammen?

Tobias Böker: Oft? Ja, das kann ich schon so sagen. Paare gehen jedenfalls in den überwiegenden Fällen gestärkt und positiv im Hinblick auf den weiteren Verlauf der Beziehung aus der Paartherapie. Das ist übrigens auch Prinzip jeder einzelnen Sitzung. Am Ende muss das Paar etwas näher zusammengerückt sein und das gelingt in den überwiegenden Fällen sehr gut. Aber natürlich gibt es auch Paare, die abbrechen oder sich trennen. Letztere werden weiter begleitet, wenn sie möchten, denn auch bei einer Trennung kann man einen konstruktiven oder einen sehr zerstörerischen Weg gehen. Ob Paare langfristig wirklich zusammen bleiben, dafür müsste ich über einen langen Zeitraum Kontakt halten. Das ist aber nur bei den Paaren der Fall, die auch nach der intensiven Phase immer wieder in großen Abständen bei mir neue Impulse suchen. Das machen aber nur wenige. Wenn es wieder rund läuft, geht man eben nicht mehr zur Paartherapie.